Sonntag, 23. Oktober 2016

Reichsbürger was ist das ? (Brandenburg)


In den letzten Monaten und Jahren sind immer wieder Presseberichte über „Reichsbürger“ und vergleichbare Gruppierungen erschienen. Diese Gruppierungen postulieren die Fortexistenz des Deutschen Reiches und lehnen die Bundesrepublik Deutschland als verfassungsrechtlich legitimen und souveränen Staat ab. Mit Berufung u. a. auf eine „Exilregierung Deutsches Reich“ werden als Folge beispielsweise Verwaltungsakte von Kommunen angefochten oder Mitarbeiter von öffentlichen Verwaltungen in ihrem Handeln behindert. Dabei unterstreichen sie mit der Herausgabe von „Personalausweisen“, „Führerscheinen“, amtlich anmutenden „Reichsdokumenten“ u. ä. ihr Verhalten und setzen Verwaltungsmitarbeiter unter Druck.

In Deutschland existieren eine Reihe der unterschiedlichsten Personen und Gruppierungen, die unter Berufung auf das Deutsche Reich – aber mit zum Teil unterschiedlichen Begründungen - die Existenz der Bundesrepublik Deutschland leugnen. Die Bezeichnungen „Reichsbürger“ oder „Reichsideologen“ sind lediglich Synonyme für dieses sehr heterogene Phänomen. Die Bezeichnung „Kommissarische Reichsregierung“ stammt aus den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, als sich die ersten Gruppierungen so bezeichneten. Die „Exilregierung Deutsches Reich“ ist eine Abspaltung der ersten „Kommissarischen Reichsregierung“ (heute: „Kommissarische Reichsregierung des Staates 2tes Deutsches Reich“). Eine einheitliche Bewegung existiert nach Einschätzung der Landesregierung damals nicht.

Oft handelt es sich auch nur um Einzelaktivisten, die auf etlichen Homepages vielfältig „Reichideologie“ verbreiten und den Eindruck erwecken, als ob eine Organisation dahinterstehe. In Brandenburg wurden folgende aktive Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung bekannt:  Im Namen einer „Reichbewegung – Neue Gemeinschaft von Philosophen“ wurde in den vergangenen Jahren wiederholt rechtsextremistische, insbesondere antisemitische Propaganda verbreitet. Diese Gruppierung verschickte im Jahr 2012 Drohbriefe mit rassistischen und antisemitischen Schmähungen an jüdische und islamische Gemeinden in Deutschland. Auch brandenburgische Kommunen waren betroffen.

Die Gruppierung wird zur neonationalsozialistischen Strömung im Rechtsextremismus gezählt. Bislang ist es den Sicherheitsbehörden nicht gelungen, die Urheber der Drohschreiben zu ermitteln.  Die „Exilregierung Deutsches Reich“ ist eine Abspaltung der heutigen „Reichsregierung des Staates 2tes Deutsches Reich“. Sie strebt die Reorganisation des „Deutschen Reiches“ in den Grenzen von 1937 an, verunglimpft die Bundesrepublik Deutschland als „Besatzungskonstrukt“ und veröffentlichte u. a. auf ihren Internetpräsenzen antisemitische Verschwörungstheorien. Die Gruppierung finanziert sich u. a. durch den Vertrieb diverser Fantasiepapiere, die den Inhaber als „Reichsbürger“ ausweisen. Öffentlich bekannt wurde 2012 ein Treffen der Gruppierung in Leipsch. Im Landkreis Potsdam-Mittelmark wurde im gleichen Jahr ein Fall bekannt, bei dem ein Schriftstück der „Exilregierung“ genutzt wurden. Des Weiteren ist mindestens eine weitere „Kommissarische Reichsregierung“ in Brandenburg aktiv sowie eine Vielzahl von Kleinst- bzw. Pseudogruppierungen, die vom Fortbestand des Deutschen Reiches ausgehen:  „Kommissarische Reichsregierung des Staates 2tes Deutsches Reich“ (KRR) oder „Staat 2tes Deutsches Reich“. Die umfangreichen Schriftstücke der „Reichsregierung“, wie die „21 Punkte zur tatsächlichen Situation in Deutschland“ werden vielfach verbreitet. Der Verfassungsschutz hat Erkenntnisse über Vorfälle in den Landkreisen Oberhavel, Oder-Spree und PotsdamMittelmark. Im Februar 2012 erhielten über 300 Schulen in Brandenburg einen „Erlass“ der KRR mit einer „ausdrücklichen und dringlichen Vorsorgewarnung“, Nahrungsmittel, Trinkwasser, Decken, Kerzen, Heizmaterial und weiteres vorrätig zu halten.  Unzählige Städte, Gemeinden und Ämter in Brandenburg haben E-Mails der „Volksbewegung Dem Deutschen Volke – Für eine Zukunft mit Recht und Gesetz“ bekommen. Darin wurde ein „Verbot zu rechtsunwirksamen Verwaltungsakten und den damit einhergehenden widerrechtlichen Vollstreckungen“ ausgesprochen. Jeder öffentlich Bedienstete würde bei „Zuwiderhandlung uneingeschränkt mit seinem gesamten Vermögen“ haften, drohte die Gruppierung. Im Landkreis Potsdam-Mittelmark nutzte ein Bürger entsprechende Dokumente der „Volksbewegung“ um einer Vollstreckung zu entgehen.  Eng mit dieser Gruppierung verbunden ist auch das „Deutsche Polizei Hilfswerk“, deren Anhänger uniformähnliche Kleidung mit der Aufschrift „Deutsche Polizei“ und „DPHW“ tragen. Bei einem Vorfall im November in Sachsen (Hinderung eines Gerichtsvollziehers an der Amtsausübung durch körperlichen Einsatz) waren auch Aktivisten aus Brandenburg beteiligt.

In Gosen war kurze Zeit eine Gruppe namens „Gemeinschaft deutscher Rechts-Konsulenten“ (REKOUS) aktiv.  In den Landkreisen Dahme-Spreewald, Oberspreewald-Lausitz und SpreeNeiße sind langjährige Anhänger der „Volksgruppe – Ringvorsorge Weltanschauungsgemeinschaft“, sogenannte „Germaniten“, bekannt. 2010 war die „Volksgruppe“ in einen Vorfall in Angermünde involviert. Hinzu kommen zahlreiche „Persönliche Personenstandserklärungen“ (sogenannte „Selbstverwalter“). Diese Personen hängen Autarkievorstellungen an und sind der Meinung, sie könnten aus der Bundesrepublik „austreten“ und sich selbst verwalten. Meist sind damit Zahlungsverweigerungen (Bußgelder, Gebühren, Steuern) verbunden. Sehr viele dieser Personen beziehen sich auf die Hinweise der „Arbeitsgemeinschaft Staatliche Selbstverwaltung“ (StaSeVe) im Internet. Sogenannte „Reichsbürger“ treten zunehmend auch gegenüber der Justiz auf. So werden vielfach Schreiben übermittelt, in denen die „Reichsbürger“ das Fortbestehen des Deutschen Reiches postulieren und die staatsrechtliche Legitimation der Bundesrepublik Deutschland anzweifeln. Die Schreiben haben entweder konkreten Bezug zu bestimmten staatsanwaltschaftlichen oder gerichtlichen Verfahren oder sie sind allgemein formuliert und an einen großen Empfängerkreis, teilweise über das gesamte Bundesgebiet verteilt, gerichtet. Zumeist werden die Schreiben zur Prüfung, ob der Inhalt strafrechtlich relevant ist, an die Staatsanwaltschaften des Landes weitergeleitet.

Darüber hinaus ist die Justiz mit Fällen befasst, in denen „Reichsbürger“ eigene „Ausweispapiere“ oder „Führerscheine“ vorlegen. Vereinzelt waren die Ermittlungsbehörden auch mit Nötigungs- oder Beleidigungsvorwürfen gegen Anhänger dieser Gruppierung befasst.

Solche Gruppierungen und Einzelpersonen verfolgen das Ziel, Verwirrung zu stiften, um staatliche Stellen vom rechtlich gebotenen Handeln abzuhalten. Hinter solchen Aktivitäten verbergen sich häufig Querulanten, anderweitig Verhaltensauffällige oder Personen in prekären sozialen Lagen, die zum letzten Strohhalm greifen. Einige dieser Akteure sind Rechtsextremisten und versuchen, einen gesellschaftlichen Resonanzboden für rechtsextremistisches Gedankengut zu schaffen und zu bedienen. Gegen solche Bestrebungen müssen sowohl die Zivilgesellschaft als auch der Rechtstaat entschlossen entgegentreten. Die Landesregierung warnt daher vor einer Unterschätzung derartiger Verwirraktionen, rät jedoch zur Gelassenheit. In jedem Fall sollten die Absender spüren, das Behörden und Verwaltungen vorbereitet sind. Daher hat der Verfassungsschutz des Landes Brandenburg einige grundsätzliche und praktikable Verhaltensgrundsätze auf seiner Internetseite veröffentlicht.

Bei den Staatsanwaltschaften des Landes Brandenburg sind in den letzten Jahren wiederholt Strafanzeigen durch staatliche Institutionen und von Bürgern gegen sogenannte „Reichsbürger“ erstattet worden. Zudem wurden Verfahren von Amts wegen eingeleitet. Eine genaue Angabe der Anzahl der Strafanzeigen oder der Verfahren von Amts wegen ist der Landesregierung nicht möglich, da die Ermittlungsverfahren gegen sogenannte „Reichsbürger“ bei den Staatsanwaltschaften des Landes Brandenburg statistisch nicht gesondert erfasst werden. Für die Ermittlung der Anzahl wäre eine mit unverhältnismäßigem Aufwand verbundene Einzelauswertung der Verfahren der politischen Abteilungen der Staatsanwaltschaften, in denen entsprechende Verfahren grundsätzlich bearbeitet werden, notwendig. Eine solche wäre noch dadurch erschwert, dass die Gruppierung der „Reichsbürger“ keine spezifischen Straftaten begeht. Zum Teil „offenbaren“ Beschuldigte auch erst nach einer Anklageerhebung ihre „Reichsbürgerschaft“, so dass Verfahren gegen sie in den allgemeinen Abteilungen der Staatsanwaltschaften geführt werden und diese Verfahren im Rahmen einer Auswertung der in den politischen Abteilungen geführten Verfahren nicht erfasst würden. Für den Zeitraum 2008 bis 31.01.2013 sind insgesamt 51 Sachverhalte mit einem Bezug zu den sogenannten „Reichsbürgern“ in polizeilichen Datensystemen enthalten. Hierbei ist hier festzustellen, dass politisch motivierte Straftaten durch/von sogenannten „Reichsbürgern“ im Jahr 2012 vermehrt registriert worden sind. Die Mehrzahl der Fälle wurde durch staatliche Institutionen zur Anzeige gebracht.


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