Sonntag, 30. Oktober 2016

Nano Register in Deutschland


Nanomaterialien werden in Deutschland in zahlreichen Produkten eingesetzt, ohne dass die für die Marktüberwachung zuständigen Behörden einen Überblick über die Anwendungsbereiche hätten. Ohne genau zu wissen, welche Arten von Nanomaterialien worin in welchen Mengen eingesetzt werden, können die Behörden die von den Stoffen potenziell ausgehenden Risiken für Umwelt und Gesundheit nur eingeschränkt bewerten. Verbraucherinnen und Verbrauchern fehlt die Wahlfreiheit, sich bewusst für oder gegen nanomaterialhaltige Produkte zu entscheiden. Umwelt- und Verbraucherschutzverbände sprechen sich deshalb seit Jahren für ein Nanoproduktregister aus (siehe Bericht „Abschlusskonferenz der Nanokommission“, März 2011, S. 12: www.bmub.bund.de/fileadmin/Daten_BMU/ Download_PDF/Nanotechnologie/nanodialog_2_abschlusskonferenz_bf.pdf). Bereits 2009 hat das Europäische Parlament die Europäische Kommission mit fast einstimmiger Mehrheit aufgefordert, eine umfassende, öffentlich zugängliche Bestandsaufnahme über die auf dem Markt vorhandenen Nanomaterialien bzw. nanomaterialhaltigen Produkte zu schaffen. Auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat 2011 in seinem Sondergutachten zu Nanotechnologie die Einrichtung eines Nanoregisters empfohlen. Der Bundesrat forderte die Bundesregierung 2013 auf, sich auf EU-Ebene nachdrücklich für ein europaweites Nanoproduktregister einzusetzen.

Nach Ansicht des Umweltbundesamtes ist das vorgeschlagene „Nano Observatory“ nicht geeignet, das Ziel der Transparenz über Art, Menge und Anwendungen von Nanomaterialien auf dem europäischen Markt zu erreichen (www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/378/publikationen/ nanomaterialien_in_der_umwelt.pdf). Zahlreiche EU-Mitgliedstaaten sind aufgrund der Untätigkeit der Europäischen Kommission bereits auf nationaler Ebene aktiv geworden. In Frankreich müssen Hersteller, Importeure und Händler seit 2013 den Handel mit Nanomaterialien in Mengen über 100 Gramm melden. Dänemark, Belgien und Norwegen haben ebenfalls Nanoregister eingeführt. Weitere Länder, wie Schweden und Italien, wollen nachziehen (www.chemsafetypro.com/Topics/EU/Regulations_on_ Nanomaterials_in_EU_and_Nano_Register.html). Im kürzlich von der Bundesregierung beschlossenen „Aktionsplan Nanotechnologie 2020“ ist dagegen von einem Nanoregister keine Rede. Auf EU-Ebene gibt es darüber hinaus weitere Anforderungen für mehr Transparenz: Laut Kosmetikverordnung hätte die Europäische Kommission bis Januar 2014 eine Bestandsaufnahme über alle in Kosmetika verwendeten Nanomaterialien auf dem europäischen Markt veröffentlichen sollen, ein solcher Katalog wurde bisher nicht vorgelegt.

Die Lebensmittelinformationsverordnung schreibt seit Dezember 2014 vor, dass Lebensmittel, die technisch hergestellte Nanomaterialien enthalten, gekennzeichnet werden müssen. Im Frühjahr 2016 hat die französische Umweltschutzorganisation Agir pour L’Environment vier Lebensmittel getestet, die alle Nanomaterialien enthielten, jedoch nicht entsprechend gekennzeichnet waren (www.agirpourlenvironnement.org/sites/default/files/communiques_presses/ Rapport%20LNE_P156452.DMSI_.001-VC.pdf). Neben den Versäumnissen, Transparenz über die auf dem Markt befindlichen nanomaterialhaltigen Produkte herzustellen, verschleppt die Europäische Kommission nach Ansicht der Fragesteller auch die Anpassung der europäischen Chemikalienverordnung REACH an die Besonderheiten von Nanomaterialien. Anfang 2013 einigten sich Europäische Kommission und Mitgliedstaaten darauf, die Anhänge der REACH-Verordnung anzupassen, damit die Anforderungen an Nanomaterialien vor dem Ablauf der letzten Stoff-Registrierungsfrist im Mai 2018 in Kraft treten.

Die Ansiedlung des EU-weiten „Nano Observatory“ bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) wird grundsätzlich begrüßt. Bei der ECHA laufen bereits jetzt die Daten aus den REACH-, CLP- und Biozid-Verfahren zusammen, so dass hier Synergieeffekte genutzt werden können. Mit dem Nano Observatory kann die Reichweite bestehender Informationsangebote der Bundesregierung, insbesondere der Wissensplattform Da-Na2.0 des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) (www.nanopartikel.info) deutlich erhöht werden. Es kann auch genutzt werden, um Forschungseinrichtungen und Startups für eine frühe Auseinandersetzung mit möglichen Risiken von Materialinnovationen für Mensch und Umwelt zu motivieren und mit den Möglichkeiten einer anwendungssicheren und umweltverträglichen Material- und Produktgestaltung vertraut zu machen. Es ist jedoch notwendig, dass die Anpassung der einschlägigen Regelungen, insbesondere der REACH-Verordnung, an Nanomaterialien zügig vorangetrieben wird, um spezifische Informationen zu Nanomaterialien und zum sicheren Umgang mit ihnen zu erhalten. Ein Nano Observatory ohne sachgerechte Anpassung der einschlägigen Regelungen ist nicht zielführend.

Gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 über kosmetische Mittel müssen Bestandteile kosmetischer Mittel in der Form von Nanomaterialien eindeutig in der Liste der Bestandteile aufgeführt werden. Den Namen dieser Bestandteile muss das Wort „Nano“ in Klammern folgen. Mit dieser Kennzeichnung wird Transparenz im Hinblick auf die Verwendung von Nanomaterialien in kosmetischen Mitteln gewährleistet. Weitere Angaben oder Informationen können durch Hersteller und Importeure zur Verfügung gestellt werden. Für interessierte Verbraucherinnen und Verbraucher stellt das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) auf seiner Internetseite (www.bfr.bund.de) eine Reihe von weitergehenden Informationen zu Nanomaterialien zu Verfügung.

Die Nanoskaligkeit eines Stoffes allein weist nicht automatisch auf ein Gefährdungspotenzial hin. Daneben bestimmen auch seine chemische Zusammensetzung, Morphologie und Oberflächeneigenschaften sowie die Eigenschaften des umgebenden Mediums seine Mobilität, Bioverfügbarkeit und toxische Wirkung in der aquatischen Umwelt. Viele der untersuchten Nanomaterialien zeigen nach Kurzzeitbelastung keine bzw. nur eine moderate bis geringe Toxizität auf aquatische Umweltorganismen. Eine hohe akute Toxizität auf aquatische Organismen kann für solche Nanomaterialien beobachtet werden, die aquatoxisch wirkende Ionen abgeben (z. B. Silber (Ag), Zinkoxid (ZnO)). Dabei können zusätzliche Effekte durch die Partikel nicht ausgeschlossen werden. Auch bestimmte, fotokatalytisch aktive Nanomaterialien (z. B. TiO2) zeigen in Labortests eine erhöhte aquatische Toxizität unter Einfluss von simuliertem Sonnenlicht. Neben der direkten toxischen Wirkung sind für eine Reihe von Nanomaterialien auch indirekte schädigende Effekte auf aquatische Umweltorganismen bei entsprechend hohen Konzentrationen beschrieben (z. B. das Blockieren von Atmungsorganen und Fressapparaten). Bei Fischen konnten darüber hinaus für einige Nanomaterialien subletale Effekte, wie Veränderungen in Geweben und Organen, Schädigungen der Kiemen und Entwicklungsstörungen in verlängerten Tests beobachtet werden. Zusätzlich wurde festgestellt, dass in Abhängigkeit des untersuchten Nanomaterials aquatische Organismen nach kurzzeitiger Belastung ein verändertes Verhalten zeigen, wie eine veränderte Futteraufnahme oder ein verstärktes Fluchtverhalten, oder deren Energiehaushalt beeinflusst wird. Umfassende und ausreichende Studien zur chronischen Wirkung auf Wirbeltiere wie Fische, die über das Larvenstadium hinausgehen, liegen noch nicht vor. Bei Langzeitbelastung von Flohkrebsen durch verschiedene Nanomaterialien wird ein negativer Einfluss auf Fortpflanzung und Nachkommenschaft beobachtet.
 
Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die REACH VO grundsätzlich einen geeigneten Rechtsrahmen für eine Gefahreneinstufung und Bewertung von Stoffen in ihren Nanoformen darstellt. Deshalb setzt sie sich dafür ein, dass die Verordnung angepasst wird. Die Bundesregierung geht nach derzeitigem Kenntnisstand davon aus, dass die Europäische Kommission spätestens im ersten Quartal 2017 einen offiziellen Vorschlag für die Anpassung der Anhänge der REACHVerordnung an die Belange von Nanomaterialien vorlegen wird. Ein darüber hinaus geregeltes Zulassungsverfahren wird deshalb nicht für notwendig erachtet. Für den Arbeitsschutz enthält die Gefahrstoffverordnung konkrete Vorgaben zu partikelförmigen Gefahrstoffen und zum Umgang mit Datenlücken im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung am Arbeitsplatz. Diese sind auch für Nanomaterialien einschlägig und in einer Bekanntmachung des Ausschusses für Gefahrstoffe konkretisiert (www.baua.de/de/Themen-von-A-Z/Gefahrstoffe/TRGS/ Bekanntmachung-527.html). Hinsichtlich der spezifischen Vorschriften für Nanomaterialien in anderen Rechtsbereichen wird auf die Ausführungen im Aktionsplan Nanotechnologie 2020 der Bundesregierung verwiesen (www.bundesregierung.de/Content/DE/ Artikel/2016/09/2016-09-14-aktionsplan-nanotechnologie-2020.html). 

Nach Auskunft des Umweltbundesamtes gelten in Kanada und den USA folgende Regelungen: Nanomaterialien fallen als chemische Stoffe in Kanada unter den Canadian Environmental Protection Act (CEPA) und werden entweder unter „existierende Stoffe“ (im Falle sie sind auf der Domestic Substance List DSL aufgeführt) oder „neue Stoffe“ (nicht auf DSL gelistet) erfasst. Im letzteren Fall muss der Stoff vor seiner Vermarktung im Rahmen des Neustoffprogramms (New Substance Program) gemeldet werden. Im Rahmen des Neustoffprogramms kann die Behörde Informationen zur Partikelgröße und Partikelgrößenverteilung erheben, um zu identifizieren, ob es sich bei dem registrierten Stoff um Nanomaterialien handelt. Als Teil des Chemicals Management Plans hat Kanada im Jahr 2015 eine verpflichtende Umfrage zu existierenden Stoffen für das Jahr 2014 durchgeführt. Im Rahmen der Umfrage musste berichtet werden, wenn ein vermarkteter Stoff auf
einer Prioritätenliste von 206 Nanomaterialien gelistet ist und eine Größe im Bereich 1-100 Nanometer aufwies sowie mehr als 100 Kilogramm pro Jahr hergestellt oder importiert wurde (auch in Gemischen oder Erzeugnissen). Übermittelt werden mussten Informationen zur Stoffidentität, Menge, Verwendung sowie verfügbare Information zu physikalisch-chemischen Eigenschaften, Exposition und Effekte. Nanomaterialien fallen als chemische Stoffe in den USA unter den Toxic Substance Control Act (TSCA) und gehören dort entweder unter „existierende Stoffe“ (im Falle sie sind auf der TSCA Chemical Substance Inventory) oder „neue Stoffe“ (nicht im Verzeichnis). In letzterem Fall muss eine Risikobewertung vor der Vermarktung durch die verantwortliche Behörde erfolgen und hierfür bestimmte Daten vom Registranten vorgelegt werden. Es gibt keine besonderen Informationsanforderungen für nanoskalige Stoffe. Seit dem Jahr 2005 wurden mehr als 150 Stoffe als nanoskaliges Material gemeldet. Die amerikanische Umweltbehörde (US EPA) hat im Jahre 2015 einen Regulierungsvorschlag vorgelegt der nach derzeitiger Planung Anfang des Jahres 2017 von der US EPA erlassen werden soll.

Im Rahmen der Verhandlungen über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) hat die EU einen Textvorschlag für das Kapitel zu regulatorischer Kooperation in die Verhandlungen sowie einen Vorschlag für einen Sektorannex zu Chemikalien eingebracht. Bislang ist offen, welche konkrete Ausgestaltung das Kapitel zu regulatorischer Kooperation erhalten wird, so dass eine Beantwortung der Frage derzeit nicht möglich ist.


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