Sonntag, 23. Oktober 2016

Reichsbürger in Thüringen


Am ersten Märzwochenende nahmen zwölf Personen an einem Treffen des sogenannten Deutschen Polizei Hilfswerks (DPHW) teil. Die Polizei war rund um das Veranstaltungsobjekt im Einsatz, um Straftaten und Ordnungswidrigkeiten zu unterbinden oder zu verfolgen. Eine Anzeige wurde wegen des Missbrauchs von Berufsbezeichnungen und Abzeichen erstattet, eine wegen des Nichtanmeldens einer öffentlichen Veranstaltung. Das DPHW ist als neue Entwicklung in der Szene der "Reichsbürger" anzusehen. Im Februar 2013 durchsuchten Polizisten in Sachsen und Brandenburg mehrere Wohnungen und einen Geschäftsraum des DPHW. Oberstaatsanwalt Lorenz Baase von der Dresdner Staatsanwaltschaft erklärte dem MDR am 27. Februar 2013, dass gegen die Gruppe DPHW wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt werde. Er verwies auch auf den Überfall eines sächsischen Gerichtsvollziehers im November 2012. "Ein zweiter Überfall sei auch aus Thüringen bekannt" heißt es im Bericht des MDR Sachsen weiter.

 Mittlerweile liegen Hinweise vor, wonach es im Herbst 2012 auf jenem Gelände zu Auseinandersetzungen mit Angehörigen von "Reichsbürger"-Gruppierungen gekommen sein soll. In einem Youtube-Video wird von Überfällen durch mehrere "Reichsbürger" in Kaulsdorf berichtet, Fotos von Verwüstungen werden zur Schau gestellt und eine versuchte Körperverletzung sei angeblich zur Anzeige gebracht worden. Im Vorfeld hätten die "Reichsbürger" die geplante "Zwangsräumung" im August 2012 per eigenem Beschluss in Kaulsdorf bekannt gemacht. Bei der Razzia in Sachsen wurden scharfe Schusswaffen aufgefunden und beschlagnahmt. Auch bei dem Objekt nahe Saalfeld bestätigte die Landesregierung im Juni 2012 den Fund einer Makarov-Pistole. In beiden Fällen hätte eine waffenrechtliche Erlaubnis vorgelegen.

Eine einheitliche "Reichsbürgerbewegung" existiert nicht. Vielmehr handelt es sich um eine Reihe verschiedenster Personen bzw. Gruppierungen, die unter Berufung auf das ehemalige Deutsche Reich - mit im Einzelnen unterschiedlichen Begründungen - die Existenz der Bundesrepublik Deutschland leugnen. Die Angehörigen der verschiedenen Gruppierungen, aber auch Einzelpersonen, weisen sich teilweise durch Phantasiepapiere wie "Reichsausweise" aus und vergeben Pseudoämter wie "Reichskanzler", "Reichsminister". Andere Gruppierungen treten als Hilfsgemeinschaften für angebliche Justizopfer auf. Sie erkennen das Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland nicht an und suggerieren den Bürgern, dass sie sich nicht der Gerichtsbarkeit unterwerfen und z. B. keine Steuern zahlen müssten.

Bisher sind in Thüringen u. a. folgende Organisationen/Gruppierungen bzw. Einzelpersonen bekannt geworden, die der "Reichsbürgerbewegung" zugeordnet werden können:

 - "Kommissarische Reichsregierung"
 - "Exilregierung Deutsches Reich"
 - "Regierung Deutsches Reich"
 - "Freistaat Preußen"
 - "Deutsche Polizei-Hilfswerk" (DPHW)"
 - "Initiative VolksSelbstbestimmung-Direkte Demokratie-Thing Gemeinschaft" ("VSDD-TG")
 - Einzelpersonen, die sich in "Selbstverwaltung" befinden oder als "Natürliche Person - BGB      Paragraph 1" bezeichnen
 - "Republik Freies Deutschland"
 - "Bürgerbüro Deutschland unter Selbstverwaltung"
 - "Gemeinde Chemnitz auf Erden"
 - "Bürger des Staates (2.) Deutsches Reich"
 - "Selbstverwaltung Deutsches Reich"/"Staatliche Selbstverwaltung auf dem Boden des Deutschen Reichs"/ "Staatliche Selbstverwaltung nach UN-Resolution"
 - "Amtierende Reichsregierung des Deutschen Reiches"

Aufgrund der Kleinstgruppenstruktur, die ständigen personellen Veränderungen unterliegt, und der Tatsache, dass die "Reichsbürgerbewegung" in sich gespalten ist in eine Vielzahl konkurrierender selbsternannter "Reichsregierungen" (Alleinvertretungsanspruch), ist eine abschließende Aufzählung nicht möglich.

 "Reichsbürger" traten in Thüringen u. a. wiederholt mit dem Versenden sogenannter Proklamationen zur Selbstverwaltung an Behörden in Erscheinung. Darin erklärten sie ihre "Selbstverwaltung" und stellen dar, dass sie die Bundesrepublik Deutschland als Staat nicht anerkennen. In diesem Zusammenhang kam es in einigen Fällen vor, dass "Reichsbürger" ihre Bundespersonalausweise und Führerscheine bei den zuständigen Behörden zurückgeben wollten, da sie sich nicht als Bürger der Bundesrepublik Deutschland verstehen. Ein weiteres Aktionsfeld der "Reichsbürger" ist das Versenden von fiktiven Bußgeldbescheiden an Behördenmitarbeiter, die angeblich ohne staatliche Legitimation tätig geworden seien und damit gegen geltendes Recht verstießen.

Das "DPHW" veranstaltet regelmäßig "Informationsveranstaltungen" für Interessierte, bundesweit wie auch in Thüringen. Derartige Veranstaltungen fanden bisher in Eisenberg, Altenburg und im Landkreis SaalfeldRudolstadt statt. Im letzten Jahr kam es auch zu Übergriffen des "DPHW" auf mehrere Gerichtsvollzieher. Schwerpunktmäßig gab es derartige Vorfälle in Weimar und Sonneberg.

Am 2. März 2013 fand in Altenburg in den Räumlichkeiten eines ehemaligen Fitnessstudios eine nicht angemeldete öffentliche Vortrags- und Informationsveranstaltung des "DPHW" unter dem Motto "Gewährleistung von Schutz und Sicherheit der Bevölkerung" statt. Bei dem Veranstaltungsleiter handelte es sich um eine bereits als "Reichsbürger" in Erscheinung getretene männliche Person aus dem Altenburger Land. Am Veranstaltungsort konnten 14 Personen festgestellt werden. Die zuständige Ordnungsbehörde wurde hinzugezogen und in ihrem Beisein die Veranstaltung aufgrund des Öffentlichkeitscharakters beendet. Die Teilnehmer aus Thüringen, Sachsen und Brandenburg verließen die Veranstaltung. Das amtliche PkwKennzeichen eines Teilnehmers war mit der deutschen Reichsflagge beklebt, der Teilnehmer selbst mit uniformähnlicher Bekleidung sowie mit Aufschriften "Deutsche Polizei" festgestellt worden. Das Kennzeichen und die Uniformteile wurden sichergestellt. Es wurden eine Ordnungswidrigkeitsanzeige wegen Nichtanmeldung einer öffentlichen Veranstaltung und eine Strafanzeige wegen Missbrauchs von Titeln aufgenommen.

Das "DPHW" ist bislang kein Beobachtungsobjekt der Verfassungsschutzbehörden. Die Gruppierung mit bürgerwehrähnlichem Charakter ist seit 2012 bekannt und arbeitet auffällig mit starken Namens- und Erscheinungsähnlichkeiten zur Polizei und suggeriert damit einen Zusammenhang zur Deutschen Polizei bzw. der Deutschen Polizeigewerkschaft. Das "DPHW" distanziert sich nach eigenen Angaben von der "Reichsbewegung" und rechtem Gedankengut, die Argumentation ähnelt aber derjenigen der diversen "Reichsgruppierungen", die die Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland anzweifeln.

Im Verlauf einer Durchsuchung durch Mitarbeiter des Finanzamtes Sonneberg am 11. Oktober 2012 bei einer als "Reichsbürger" bekannten Person trafen weitere Personen ein, die diesem Spektrum angehören. Als Reaktion auf den verwehrten Zugang zur Wohnung begaben sich im Anschluss an die Durchsuchung sechs Personen, unter ihnen der Durchsuchte, zum Finanzamt Sonneberg und begehrten dort Einlass zwecks einer Aussprache mit dem dortigen Leiter. Den Personen wurde der Einlass verwehrt. Nach Identitätsfeststellungen und Platzverweisen verließen sie das Gelände. Eine der Personen trug einen blauen Overall sowie ein blaues Basecap mit der Aufschrift "Deutsche Polizei", zudem wies sie sich mit einem Ausweis mit der Aufschrift "Deutsches Polizei Hilfswerk" und "Deutsche Polizei" aus. Daraufhin wurde Anzeige wegen Verdachts des Verstoßes gegen §§ 132, 132a Strafgesetzbuch (StGB) erstattet.

Am 29. November 2012 begaben sich sieben Personen nach Weimar, um an der Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung einer sich unter ihnen befindlichen Person in den Amtsräumen einer Gerichtsvollzieherin teilzunehmen. Drei dieser Personen traten mit Phantasieuniformen, die den Polizeiuniformen zum Verwechseln ähnlich waren, in Erscheinung und zwei der anwesenden Personen wiesen sich mit (Phantasie-) Ausweisen "Stab des Deutschen Polizei Hilfswerks" aus. Es wurden Identitätsfeststellungen durchgeführt, Platzverweise erteilt und Uniformen und Ausweispapiere beschlagnahmt. Zudem wurde Anzeige wegen des Verdachts des Verstoßes gegen §§ 132 ff., 240 StGB erstattet.



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